oder Wie man in Zeiten von Shut Downs die kreative Energie in die richtigen Bahnen lenkt
März 2020 – die Maßnahmen unserer Bundesregierung überrollen das Land sehr überraschend und in einem Umfang, den niemand je vermutet hat. Alle Bereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens brachen nahezu auf Null zusammen. Ein Bereich, der jedoch mit voller Wucht und nicht absehbaren Ausmaßes getroffen wurde, war bzw. ist nach wie vor der Kunst- und Kultur-bereich. Konzerte wurden komplett abgesagt, und wer nicht ein zweites Standbein (z.B. Lehrtätigkeit an einer Musikschule) hat, hatte ab dem Zeitpunkt kein Einkom-men mehr. Eine Situation, die man nicht für möglich gehalten hätte. Dennoch mussten alle irgendwie durch-kommen und auch jetzt ist es für Kulturschaffende ein hartes Brot, denn die wenigen Konzerte, die stattfinden, können nur mit stark reduzierten Besucherzahlen durch-geführt werden, was sich im Normalfall immer auf die Gage der MusikerInnen auswirkt.
Was jedoch in der „Corona-Zeit“ auch zu beobachten war, war eine unglaubliche Kreativität bei den Kunst-schaffenden. Denn viele wollten durch kreative Ideen neue Wege erschließen, sich dem Publikum mitteilen zu können, auch wenn es „nur“ über das Internet ist. Die Technik macht es möglich – angefangen beim Unterricht über Videotelefonie und Wohnzimmerkonzerten, die per Livestream auf der ganzen Welt abrufbar waren, bis hin zu Projekten, bei denen Orchester über die Grenzen hinweg gegründet wurden. So auch das GAPO, das von Ian Watson, dem künstlerischen Leiter und Dirigenten des LAO (London Accordion Orchestra) und Sam Cullen (auch vom LAO) ins Leben gerufen wurde. Die Grundidee, viele AkkordeonistInnen aus der ganzen Welt digital zu vereinen, schlug ein wie eine Bombe – im bestgemeintesten Sinn.
Ich persönlich wurde darauf aufmerksam, als über diverse Soziale Netzwerke der Aufruf zur Teilnahme beim Stück „Song without words“ (Ian Watson) gestreut wurde. Mir gefiel die Idee und außerdem war ich neu-gierig, wie das ablaufen wird.
Per Mail wurde Sam Cullen kontaktiert, man konnte auch einen Wunsch angeben, welche Stimme man spielen wollte. Die Teilnehmerzahl war limitiert, somit musste man auch flott sein.
Zugesendet wurden dann die gewünschte Stimme und ein Klick-Track, also eine Audiodatei mit Metronomschlag im Hintergrund, um die Spielgenauigkeit zu erhöhen. Selbst musste man dann nur mehr brav zu dem Audio üben und die eigene Stimme per Handyvideo aufnehmen und bis zu einem bekannten Einsendeschluss an Sam Cullen retourschicken. Einige Wochen später war die Premiere und ich muss sagen, dass ich begeistert war und nach wie vor bin. Hochprofessionell wurden diese vielen Videos zusammengeschnitten und auch die Tonqualität hat mich voll begeistert. Die Idee, mit vielen anderen Gleichgesinnten in einem Klangkörper zusammen zu spielen, von denen man viele gar nicht kennt, ist ein Reiz für sich, noch dazu wenn, wie in diesem Fall, die Qua-lität stimmt.
Kurz danach wurde das nächste Projekt angekündigt, dieses lief allerdings etwas anders ab. Im weitesten Sinn war dieses neue Projekt dazu gedacht, Ian Watson finanziell etwas unter die Arme zu greifen, da er als freischaffender Künstler ebenso kein Einkommen mehr hatte. Das neue Stück „Horizon“ musste erst komponiert werden, alle Teilnehmenden traten als Auftraggeber auf, indem man sich für einen Teilnahmestatus entschieden hatte. Als Beispiel: Beim Status Gold zahlte man 100 Euro, man konnte wieder mitspielen und als kleiner Bonus bekam man eine Partitur mit persönlicher Widmung von Ian Watson zugesendet. Das Prozedere der Aufnahmen und der Zusammenstellung war genau wie bei „Song without words“. Auch diesmal wurden die Erwartungen mehr als übertroffen, denn Ian Watson ist auch mit „Horizon“ wieder ein Stück gelungen, das nicht unspielbar schwer, aber dennoch klanglich sehr ansprechend ist. Ein Werk, das viele Akkordeonorchester ins Repertoire aufnehmen könnten und auch sicher auf-nehmen werden.
Ich bin sehr froh, Teil dieses Projektes gewesen zu sein, das vermutlich unter normalen Bedingungen nie stattgefunden hätte. Bitte nicht falsch verstehen – ich denke, allen wäre es lieber gewesen, wir hätten das Jahr 2020 seit Mitte März anders erlebt, jedoch zeigt dieses Projekt (und dergleichen gibt es bestimmt viele), dass ein kleines Licht am Ende des Tunnels ist.
Wenn uns Künstler etwas auszeichnet, sind das Kreativität und Flexibilität, die speziell in Krisenzeiten sehr zum Tragen kommen.
Mag. Johannes Münzner, BA