Nach dem Bau der Semmeringbahn durch Carl Ritter von Ghega in den 1850er Jahren (seit 1998 Weltkulturerbe) wurde die Region um den Semmering ab Mitte des 19. Jahrhunderts bald beliebte Sommerfrische der damaligen feinen Wiener Gesellschaft. Auch Künstler wie Oskar Kokoschka, Karl Kraus, Arthur Schnitzler, später Gerhart Hauptmann und Stefan Zweig fanden hier Erholung und Inspiration. Heutzutage wirkt vor allem der Wintersport sehr attraktiv für Gäste aus aller Welt, und seit kurzem werden hier auch viele kulturelle Schwerpunkte gesetzt. Es ist sehr erfreulich, dass das Akkordeon dabei keine unbedeutende Rolle spielt.
Klaus Paier durfte die ehemalige Salzburger Buhlschaft Verena Altenberger bei ihrem Semmering-Debüt begleiten und den hochkarätigen Kulturreigen im geschichtsträchtigen Grandhotel Panhans sowie dem neu errichteten Kulturpavillon eröffnen. Es gelang ihm dabei mit seiner Musik meisterhaft, Altenbergers mitreißende Interpretation von Stefan Zweigs „Brief einer Unbekannten“ zu umrahmen, ein tief unter die Haut gehendes Psychogramm einer gleichermaßen hingebungsvollen wie tragischen Liebe.
Im nahegelegenen Südbahnhotel kam es im Rahmen einer Lesung von Franz Kafkas „Ein Landarzt“ zu einer hochinteressanten Begegnung von Otto Brusatti, Autor, Regisseur und Musik-Gestalter, und dem Akkordeonisten Nikola Djoric. Der vergleichsweise kurze Text über einen älteren scheinbar selbstsicheren Arzt, der sich sein Scheitern eingestehen muss, ist mit Klängen, Stimmungen, Aggressionen und Drohungen durchsetzt. Ein Landarzt zählt zu den wichtigsten schriftstellerischen Werken der letzten Dezennien und hatte – wie ein Großteil des Werkes von Franz Kafka – einen kaum zu unterschätzenden Einfluss auf die Literatur. Die Erzählung wird in Auszügen gelesen und dargestellt, die Musik bietet den Rahmen und den Kommentar gleichermaßen, sarkastisch und mitziehend – insgesamt eine Vorweg-Hommage an Kafkas 100. Todestag 2024. Djoric hat sich durch seine Interpretationen längst in der Kulturszene etabliert und erforscht mit dem Akkordeon bisher ungekannte Klangfarben von Bach über Mozart zu Tschaikowsky. Bei vielen Kompositionen, die nicht für Akkordeon geschrieben wurden, bewahrt Djorić die Treue zum originalen Notentext. Im ehemaligen Kurgarten des Südbahnhotels spielte er anschließend Kompositionen von Schubert bis Piazzolla.
Die Villa Wartholz im malerischen Reichenau an der Rax, am Fuße des Zauberbergs gelegen, war einst beliebte Sommerresidenz der Habsburger. Schauspieler und Regisseur Robert Meyer, viele Sommer lang Protagonist der Festspiele Reichenau, hat eine besondere Nähe zum „Jux“, eines der meistgespielten Stücke von Johann Nestroy: ein Feuerwerk an Verkleidungen, turbulenten Verwechslungen und Situationskomik, garniert mit brillantem Sprachwitz und bissigen Bemerkungen. Der Wiener Akkordeonist Miloš Todorovski war für die musikalische Gestaltung verantwortlich und stand selbst mit dem Akkordeon in der ganzen Veranstaltungsreihe auf der Bühne der Festspiele Reichenau. Dr. Herbert Scheibenreif